Exkursion Philosophie-Kurs zur Gedenkstätte Sachsenhausen
Sachsenhausen ist ein Ort zum Nachdenken. Darüber waren wir uns nach dem Besuch der Gedenkstätte alle einig. Über Fragen nach dem Mensch-sein, der Menschlichkeit und Unmenschlichkeit. Über diejenigen, die diese grausamen Taten verbrochen haben und die Opfer dieser Verbrechen. Gerade die Geschichten der Gefangenen zeigten uns, dass es selbst im Angesicht der verzweifeltsten Lage immer noch möglich ist, sich seine Menschlichkeit zu bewahren und sogar darüber hinaus sich des Schicksals anderer anzunehmen.
„Es ist schrecklich zu wissen, dass Menschen wie du und ich zu solchen Taten bereit waren. Die Täter haben mit dem Leben der Häftlinge wortwörtlich gespielt! Wofür?.. Kann es sein, dass in jedem von uns so etwas steckt?“ (Ceyda)
„Es hat schockiert, wie grausam und egoistisch diese Täter sein konnten. .. Immer wenn ich glaube, dass es nicht schlimmer geht erfahre ich Neues, dass mich vom Gegenteil überzeugt.“ (Melisa)
⇑ Diesen Satz machten die Nationalsozialisten zum zynischen Motto der Konzentrationslager.
Etwas chaotisch begann unser Tag dank der BVG. Der Ausfall unserer Busverbindung führte jedoch auf der Kehrseite gleich zu guten Gesprächen und einem ersten Gefühl für einen Schwerpunkt unserer Exkursion: Dem Begehen des Ortes. Immer wieder während des Tages kam der Gedanke bei uns auf wie unvorstellbar es ist, dass auf diesem heute so friedlichen, ruhigen Gelände einst der Terror herrschte. Als eine von vielen Schikanen der Zwangsarbeit mussten Häftlinge hier bis zum körperlichen Zusammenbruch auf und ab marschieren, um die Haltbarkeit der Sohlen neuer deutscher Schuhmodelle zu testen.
In der Gedenkstätte empfangen von unserer Exkursionsführerin Frau Beck setzten wir uns zunächst mit dem Nicht-Vergessen in Form einer Flaschenpost auseinander. Der politische Häftling Anton Engermann, ein gelernter Maurer und Kommunist, hatte sie 1944 bei der Zwangsarbeit mit dem Baukommando eingemauert. Sie ist in Form eines Gedichtes verfasst, versehen mit seiner genauen Adresse auf der Rückseite:
Nach der Heimat möcht‘ ich wieder
Wann sehe ich meine Lieben aus Frechen-Köln mal wieder
Mein Geist ist trotzdem ungebrochen.
Bald muß es besser werden. (Flaschenpost von Häftling Anton Engermann)
Nach diesem persönlichen Einstieg erfuhren wir in der ausführlichen Begehung mehr über das Konzentrationslager als architektonisches und organisatorisches Modell für andere KZs und damit erstes idealtypisches KZ, dass die Häftlinge auch in diesem Sinne symbolisch der Macht der SS unterwerfen sollte. Im Zusammenhang mit seiner Nähe zur Reichshauptstadt Berlin und der dortigen Gestapo Zentrale wurde Sachsenhausens Relevanz im Sinne von Organisation und Verwaltung des Mordens deutlich. Zwischen 1936 und 1945 wurden hier über 200000 Menschen aus 40 Nationen entrechtet und inhaftiert, zu Beginn vor allem politische und religiöse Widerständler, u.a. Hitler Attentäter Georg Elser, Kommunisten, Sozialdemokraten und Zeugen Jehovas, da diese den Kriegsdienst sowie den Hitlergruß verweigerten. In späteren Verhaftungswellen gerieten immer mehr und größere Gruppen ins Visier der Nazi Ideologie, die sie zu „Minderwertigen“ erklärte, darunter Juden, Sinti, Roma und Homosexuelle.
⇑ Angsteinflößende Propaganda wie diese bezweckte die Unterdrückung organisierten Widerstandes.
Die Untersuchung der Einzelschicksale von Häftlingen und ihr Umgang mit den brutalen Bedingungen, die viele von ihnen nicht überlebten, stand im Mittelpunkt unseres Austauschs. Dabei lernten wir, wie weit das Spektrum dessen reichte, was Häftlinge erlebten. Ihr Alltag war bestimmt durch äußerste Grausamkeit und Willkür. Im Klima der Dauerbedrohung konnte „ein falscher Blick“ beim Gang über das Gelände den Tod bedeuten, wie die Aussage eines Überlebenden bezeugt. Gleichzeitig erfuhren wir von Geschichten der Freundschaft und Solidarität. Immer wieder gelang es Insassen, durch Geschick, Kenntnisse über das Lager und großen Mut anderen das Leben zu retten.
Persönliche Gegenstände wie geheime Tagebücher, Liedtexte und Zeichnungen, die gut versteckt vor der Zerstörung durch die Täter bewahrt wurden, legen heute stilles Zeugnis ab über das Erlebte und zeigen gleichzeitig das Aufbegehren gegen die Entwürdigung, die Verteidigung von Menschlichkeit unter schlimmsten Bedingungen.
Mit der großen Frage nach dem Warum, die nach dem Besuch in unseren Köpfen arbeitete, werden wir uns im Fach Philosophie weiter auseinandersetzen. Zentral ist dabei die Untersuchung der gesellschaftlichen Bedingungen, die den Massenmord möglich machten. Nur das Aufnehmen der großen Herausforderung zur ehrlichen Selbstreflexion schafft die Voraussetzung dafür, dass ein solches Grauen nie wieder möglich sein kann.
„Man empfindet Wut darüber, dass es Menschen gibt, die diese Dinge vergessen und sogar vergessen wollen. Jeder Mensch kann über seinen Tellerrand hinausblicken und eingreifen.“ (Miray)
Text: Anna Berlinger, Lehrerin des Philosophie Kurses
Fotos: Melisa